Textauszug 2 - Olaf Kübler: Sax oder nie!

» Jazz im Domicile, München 1967

Domicile – Jazzclub, Siegesstraße 19, München-Schwabing. Zur damaligen Zeit war das der einzige, richtige Jazz-Laden in ganz Deutschland. Im Domicile spielten alle großen Amerikaner, wenn sie auf Europa-Tournee nahe genug an München herankamen. Das Domicile lag mitten im Münchner Künstlerviertel Schwabing. Damals bedeutete dies noch Kunst, Kultur, und nicht Kommerz wie heute. Von seinem Ambiente her vergleichbar mit Soho in London, Greenwich Village in New York oder dem aus Paris nicht wegzudenkenden Künstlerviertel Quartier Latin. In der Siegesstraße in München, parallel zur Leopoldstraße, stand das alte Domicile, von außen ganz unscheinbar. Wenn man durch die Eingangstür kam, war gleich rechts eine kleine Garderobe, und in der saß Marianne, die den Eintritt kassierte. Links lag das Lokal und geradeaus war die kleine Bar, die nur für ganz spezielle Gäste reserviert war. Hinter dieser Bar war Gustl Augustin tätig und vor der Bar stand Abi Ofarim mit seinen Gespielinnen, und der Karikaturist Olaf Klama malte dort seine bescheuerten, ganz kleinen Männchen, die ihn dann später reich und berühmt machten. Gleich vorne befand sich die Bühne, und davor waren rechts und links hühnerleitermäßige Sitztribühnen für etwa 100 Gäste. Rechts vor der Bühne, von vorne gesehen, stand ein langer Bartresen, der in einen schlauchähnlichen Gang mündete. Am Ende dieses Ganges war die Tür zur Küche, und dort waltete Dora. Sie war die Weltmeisterin der handgedrehten Frikadelle und liebte die Musiker und ihre Musik über alles.

Ernst Knauff war der Boss, stand hinter der Bar und zapfte das Bier auf den Meßstrich genau. Nicht zu viel, aber auch nie zu wenig. Ernst war selber mal Musiker gewesen. Er war Bassist und spielte außerdem Klavier. Richtig gut war er am Piano erst nachts um drei, wenn alle gut angetrunken und die Musiker allein im Lokal waren. Dann spielte Ernst seine „Wiener Lieder“ und sang dazu, wie in Wien-Grinzing üblich, die Schüttelverse: „Wien, Wien, nur du allein“ oder den Schwank: „Ich zahle keine Miete nicht, nein, keine Miete zahl ich nicht!“ Das war echt zum Totlachen und in den Pausen trällerte Ernst das rheinische: „Täterä – täterä – täterä!“ Neben seinem Beruf, als Chef des Domiciles, war Ernst Berufs-Trinker und trotz der vielen Promille ein sehr gutaussehender Lebemann, um den sich die Weiber prügelten.

Die Schauspielerin Kai Fischer war höllisch in Ernst verliebt, und wenn ihre Konkurrentinnen auftauchten und Ernst diesen Damen im Vorbeigehen an den Schritt fasste, dann sah die rothaarige Kai richtig rot. Sie war so eifersüchtig, dass sie Ernst eines Nachts mit einer Schreckschusspistole vor dem Lokal „Occam Pils“ erschießen wollte. Das wäre natürlich eine gute Schlagzeile in der Münchner Presse gewesen, zumal Kai im Filmbusiness zu der Zeit ganz oben war. Ernst hatte ihr mal im Suff versprochen, mit ihr eine Platte zu produzieren. Allerdings habe ich Ernst dann gewarnt und ihm gesagt, dass es nie gut sei, seinen eigenen Penis auf Schallplatte zu bringen. Die Platte mit Kai Fischer wurde aber trotzdem aufgenommen und von Ernst Knauff bezahlt. Diese Platte gehört heute zu der Kategorie der Raritäten, die keiner will! Das Ding hat Ernst damals viel Geld gekostet. Aber was macht man nicht alles, wenn die Liebe und der Schwanz den Verstand ausschalten.

Der ganze Laden stand und fiel mit Ernst und seiner Geschäftsführerin Hilde, die dann später in Schwabing die Kneipe „Die Säge “ aufmachte. Ein Treffpunkt für Filmleute, die gerne ohne Kopf nach Hause gehen. Die Säge gibt es heute auch nicht mehr! Der Bandleader und Saxophonist Max Greger hatte damals einen Vertrag mit dem Zweiten Deutschen Fernsehen und dadurch konnte er es sich erlauben, erstklassige Jazz-Musiker aus den Vereinigten Staaten einzufliegen. Und das war von großem Vorteil für das Domicile, denn Ernst Knauff engagierte alle diese Weltmeister, die dann im Domicile zeigen konnten, was wirklich in ihnen steckt. Die hatten dort auch die Gelegenheit, ihren Frust abzulassen, denn die Arbeit mit Max Greger war für sie nicht nur Honigschlecken.

„Ernst, ach Ernst, was du uns alles lernst!“ – Er sollte in den folgenden Jahren mein ganz spezieller Freund werden. Bevor er das Domicile eröffnet hatte, war Ernst Knauff als Musiker tätig und spielte im berühmtesten Trinker-Trio der westlichen Hemisphäre. Dieses Trio bestand aus dem Musik-Kritiker Baldur Bockhoff, dem Schlagzeuger Peter Worthmann und Ernst Knauff, wer sonst, am Bass. Das Trinkerheilanstaltstrio durfte keinen Job für länger als drei Stunden annehmen, weil sonst alle Akteure des Trios bereits unter dem Flügel schliefen.

1967 spielten im Domicile Leute wie Don Menza, der Champion-Saxplayer aus Los Angeles, den man auch den „roten Baron“ nannte, weil er rote Haare und viele Sommersprossen hatte. Dieser amerikanische Tenor-Saxophonist, der am ersten Abend meiner Ankunft mit Françoise in München im Domicile spielte, sollte mich über die kommenden Jahre in meiner Spielweise am Saxophon noch sehr beeinflussen. Don Menza „Immenza“ war überhaupt der erste Saxophonist, der über alles, was das Instrument angeht, mehr wusste, als irgendein anderer Musiker oder all die Saxophon-Reparateure, die ich bis dahin getroffen hatte. Er kannte sich mit Mundstücken aus, mit den Blättern, mit den Klappen und der ganzen Technik dieses doch so komplizierten Instrumentes. Man hätte annehmen können, dass Don das Saxophon erfunden hatte. In meinem ganzen Musikerberufsleben hat er mir bis heute alle Mundstücke selber gebaut und sie meiner Mund- und Zahnstellung und meinen Lippen individuell angepasst.

Don war ein unvorstellbares Energiebündel, und wenn er mal mit dem Saxophonspielen angefangen hatte, war keines seiner Soli unter dreißig Minuten lang. „Die Kadenza Don Immenza!“ Ein normal durchtrainierter Bläser fällt sofort in Ohnmacht, wenn er nicht über die von Don benutzte Atemtechnik verfügt. Don konnte durch die Nase Luft holen, ohne dass der Ton absetzte. So konnte er einen Ton bis zu fünf Minuten lang spielen. Dann wurde sein Kopf aber sehr, sehr rot, und seine Backen bliesen sich auf wie bei einem Frosch, der gerade seine Partnerin sucht. Nur einer konnte da noch besser, Dizzy Gillespie – mit seiner gebogenen Trompete. Benny Bailey, ein schwarzer Hoch-Trompeter von Weltklasse, der schon mit allen amerikanischen Big-Band-Legenden gespielt hatte. Er hat mich damals ungeheuer beeindruckt. Mit welcher Naturgewalt dieser schon damals nich mehr junge Trompeter spielte! Einfach unglaublich! Wie ein Schmetterball kamen bei ihm die höchsten Töne aus der Trompete und zischten einem nur so um die Ohren.

Dann war da noch der vortreffliche Pianist Joe Haider, dieses Stuttgarter Original mit seinem schwäbischen Dialekt. „Hanoi und so“. Mit Joe Haider habe ich ein paar Jahre im Quartett gespielt, und wenn wir on the road waren, blieb kein Auge trocken. Einmal wollten wir sogar gemeinsam von Augsburg auf der Autobahn zurück nach München zu Fuß gehen. So grausam besoffen waren wir da. Joe war der Weltmeister der Schnapsflasche und ist mal in einem Hotel in Augsburg durch die geschlossene Glastür gegangen und die Splitter der Tür lagen dann im Foyer herum und Joe hatte nur einen kleinen Kratzer abbekommen. Allerdings hatte ihm ein Glassplitter an der linken Hand die Hauptschlagader durchgetrennt, und das Blut schoss wie eine Fontäne hoch. Geistesgegenwärtig drückte Joe mit dem rechten Zeigefinger die Wunde an der linken Hand ab, grinste mich dabei besoffen an und lallte: „Willst du mal meinen Blutdruck sehen?“ Dabei nahm er den Finger von der abgedrückten Wunde und ließ das Blut zwei Meter in die Höhe spritzen. Da wusste ich, dass er einen gesunden Blutdruck hatte. In der Klinik haben die Ärzte Joe ohne Narkose zurechtgeflickt. Bei einem dermaßen betrunkenen Menschen hätte jede Betäubungsspritze tödliche Folgen nach sich gezogen.»


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